du musst dich selber lieben

by truebenjamin

immer wieder begegnet mir diese vorstellung, diese idee. die bezüge sind unterschiedlich. das osziliiert zwischen dem nächstenliebegebot aus dem neuen testament (dessen interpretation, dass es dabei zuerst um selbstliebe geht, dann um die liebe zu den anderen ich der sache nicht gerecht werdend finde) und irgendwelchen esoterischen selbsthilfeparolen, ob nun mit oder ohne bezug zum universum, der anderen welt oder trivialisierten vorstellungen von quantenphysik. heute sagte ein freund zu mir “wenn du dich selber nicht sexy findest, wie sollen es andere tun?”. mich beschäftigt das sehr, weil ich das konzept schwierig finde. für mich klingt das nach einer normativen aussagen – also: wenn ich mich nicht selber liebe, dann können es andere nicht. also muss ich “nur” den schritt gehen und mich selber lieben. sexy finden. annehmen. was auch immer. dieses konzept stößt mir auf. es macht mich unruhig und es irritiert mich.

mein bezugspunkt ist dabei meistens der körper. also meiner. wir beide haben kein besonders inniges verhältnis zueinander. gelgentlich ist es auch ein feindliches. seit ich denken kann, war dieser körper etwas, das negativ belegt wurde. ich konnte ihn nie so virtuos bewegen, wie viele meiner altersgenossen. ich war nicht in der lage, mit einem fußball artgerecht umzugehen, boden- und geräteturnen waren für mich mit die beschämendsten momente meiner frühen jungend. ich war im schulsport immer derjenige, den keiner in seiner mannschaft haben wollte (oder nur dann, wenn man noch zwei “gute” als ausgleich dazu bekommen konnte). ich kanns den leuten nicht mal verübeln: wenns um sportlichen wettkampf ging, war ich einfach ein totalausfall. außer schnell rennen war ich zu wenig in der lage, komplexe bewegungskombinationen überforderten mich. und tun es heute in der regel noch. oder etwas technischer ausgedrückt: koordination war nie meine stärke. also die mit dem körper. mit dem kopf war ich immer schnell und komplexität im denken war und ist mir eine große freude. aber das ist offenbar auf dem markt der (sexuellen und erotischen) möglichkeiten die falsche währung.

ich habe früh in meiner kindheit gelernt, dass ich aufpassen muss, “nicht aus der form zu geraten”. entsprechend wurde in einer vollkommen irrationalen form essen instrumentalisiert als etwas, das gleichzeitig “böse” war, weil es die “form” gefährdete und “gut”, weil es viel mit “sich etwas gönnen” zu tun hatte. mit zuwendung. dabei waren es selten ungetrübte, lustvolle situationen, wenn es ums essen ging. wichtig war, “maß zu halten” etc. die botschaft, die ich mir offenbar gemerkt habe ist: mein körper ist zum einen zu wenig von dem fähig, was angesagt ist (ich habe nie zu den coolen jungs gehört, nie) und zum anderen ist er problematisch, weil er als gradmesser der eigenen maßlosigkeit unbeirrbar auskunft über jeden bissen zu viel, jedes zuwenig an sport, disziplin und haltung gab. dass körperlichkeit auch lustgewinn, freude und etwas schönes sein kann, war mir lange sehr fremd. wichtig war nur, um vor dem imaginierten gerichtshof “der anderen” (und dem realen der eltern, klassenkameraden und sportlehrer) zu bestehen, die innere disziplin äußerlich sichtbar machen zu können. körperlichkeit war also, kurz gesagt, immer defizitär und immer mit leistungsvorstellungen verbunden.

bilder von körpern, die mir begegnen, zeigen (das dürfte vermutlich vielen leuten so gehen) körper, die mit meinem wenig gemeinsam haben. vollkommen idealisierte abbildungen von aber sie vermitteln mir auch immer ein gefühl von unruhe. diese bilder, diese bilder wirken auf mich wie eine vergleichsgröße, die in mir sofort das gefühl aufruft: “du hast nicht genug getan. das falsche gegessen, zu wenig sport, zu wenig disziplin, zu wenig an dir gearbeitet”. ich verbiete mir, menschen, denen ich mehr attraktivität, mehr schönheit zuschreibe, als ich selber zu haben scheine, zu begehren. ich verbiete mir den gedanken, weil es in mir eine stimme gibt, die ganz klar weiß “so einen wie dich will so einer wie der sowieso nicht. schau dich an, schau ihn an. siehst du den unterschied?” ich wäre diese gedanken gern los. weil ich sie anstrengend finde. und hinderlich, aber sie sind da. und sie sind sehr resistent. oder anders gesagt: sie kommen immer wieder. immer. mir ist klar, dass das instanzen in mir sind, die mich abwerten. und genau hier komme ich in schwierigkeiten mit der vorstellung, dass ich mich “einfach selber lieben”, mich “doch nur sexy finden” muss. (und ja, es geht um mehr als sex. aber um den geht es eben auch). wenn ich wüsste, wie das geht, ich würde es. wirklich. aber es ist mir ein vollkommenes rätsel.

und ich denke auch, dass es so einfach nicht ist. denn ob ich mich liebe oder schön finde, ist etwas, das eben nicht nur mit mir zu tun hat. sondern auch mit anderen. ich lebe ja nicht auf einer kleinen insel im nirgendwo sondern inmitten von vielen anderen menschen, die mir durch ihre reaktionen (oder auch nicht-reaktionen) auf mich etwas spiegeln. einen eindruck vermitteln. natürlich kann ich den nie komplett erfassen, weil ich die geschichte des anderen kaum kennen kann. zumindest nicht im regelfall. trotzdem hinterlassen diese reaktionen spuren. nicht immer große. manche verfliegen sofort. andere bleiben länger. vielleicht ist es die summe von erfahrungen und reaktionen, die das bild ausmachen. (und natürlich auch meine eigenen interpretationen – ja, ich hab meinen mead gelesen). trotzdem denke ich, dass die tatsache, ob ich mich selber als liebenswert erleben kann, mich selber lieben kann, eben geanau nicht etwas ist, das ich einfach aus mir selber herstellen kann. sondern das ganz klar andere braucht, die mir mit wohlwollen begegnen, die mich mögen und lieben und auch solche, die mich begehren, mich erotisch und anziehend finden. die vielen schwierigen erfahrungen kann ich nicht einfach wegdenken. sie brauchen, da bin ich mir sehr sicher, andere erfahrungen. solche, die es mir ermöglichen, mich anders zu sehen. anders zu verstehen. das eine hat also mit dem anderen und das andere mit dem einen zu tun. das eine ohne das andere geht nicht.

dadurch scheint es mir eine zumutung an den einzelnen zu sein, sich selber lieben zu sollen. wenn man bei solchen aufforderungen das drumherum, das soziale (sowohl im kleinen wie auch strukturell) einfach ausblendet, wird diese aufforderung zu einer unlösbaren aufgabe – vor allem, wenn sie verbunden wird mit einer finalisierung (also: du musst dich selber lieben, damit anderen dich dann auch lieben können), die auf genau diese vorher ausgeblendeten anderen abzielt. die gemeinte zumutung ist damit, alles aus sich heraus zu entwickeln, ja, entwickeln zu müssen. das wiederum ist natürlich eine dem dominanten neoliberalen selbstoptimierungsdiskurs in die hände spielende idee: anstelle einer vorstellung von aufeinander verwiesenen individuen tritt die idee des auf sich zurückgeworfenen subjekts, das für seine eigenen existenziellen bedürfnisse alleine zu sorgen hat. und damit kommt in die, auch für mich zunächst hoffnungsvolle, vorstellung des “sich selbst liebens” ein bitterer beigeschmack. ich glaube nicht, dass menschen ohne andere menschen gut leben können. und ich glaube auch nicht, dass menschen gut leben können, wenn sie wenig liebe oder anerkennung erfahren, wenn sie ihr begehren, ihre sexualität nicht in irgendeiner form leben können. ich glaube eher, dass das fehlen dieser dinge menschen verunsichern, physisch und psychisch belasten kann. und dass es in diesem moment wenig hilfreich ist, den rat zu erteilen, dass man sich eben einfach mehr lieben muss.

vielleicht, aber das ist nur kursorisch, hat das mit auch mit der normativen aufladung von sexualität und partnerschaft zu tun. die bilder, die wir täglich konsumieren können, vermitteln uns eine angebliche realität davon, wie gelungene sexualität (als ein beispiel) mit “attraktiven” körpern (als einem zweiten beispiel) aussieht. die masse dieser bilder vermittelt eine idee von normalität, die natürlich keine ist. im gegenteil. verkoppelt man das mit der vorstellung einer nie endende optimierung aller lebensbereiche und den angeblich unbegrenzten wahloptionen, kann man sicherlich noch weitere zusammenhänge ausbauen.

was – auch das soll gesagt sein – wenig daran ändert, dass ich einfach gern jemand zum liebhaben hätte